Haftpflichtrecht
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06.08.2023

Economiesuisse: Positionspapier zum regulatorischen Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI/AI) veröffentlicht

Im Rahmen der extensiven Berichterstattung zu ChatGPT & Co haben zahlreiche Unternehmen und Verbände Dokumente mit entsprechenden Regulierungsvorschlägen publiziert. Der Dachverband der schweizerischen Wirtschaft, economiesuisse, hat nun ebenfalls ein Positionspapier zum regulatorischen Umgang mit Künstlicher Intelligenz (KI/AI) veröffentlicht.

Im Gegensatz zu anderen Publikationen beinhaltet das Positionspapier von economisuisse eine Art von Definition - "Was ist KI": Dabei ist einerseits von der Nachbildung von "kognitiven Fähigkeiten wie Lernen, Problemlösung und Entscheidungsfindung" die Rede. Andererseits stelle KI ein "interdisziplinäres Feld dar, das verschiedene Technologien wie maschinelles Lernen, neuronale Netze, natürliche Sprachverarbeitung und Robotik" umfasse. Vor allem handle es sich aber um im "Gegensatz zu herkömmlich automatisierten Prozessen nicht um vorprogrammierte Wenn-Dann-Schemata sondern um Algorithmen, welche sich selbstständig weiterentwickeln und somit lernen können".

KI im oben genannten Sinne solle gemäss economiesuisse mindestens derzeit nicht (spezifisch) reguliert werden; eine übereilte Regulierung würde negative Auswirkungen auf Innovation, Wettbewerb sowie die globale Zusammenarbeit haben und insbesondere KMU massiv belasten. Ferner sei das schwezierische Rechtssystem prinzipienbasiert und technologieneutral ausgestaltet, so dass viele Fragen im Zusammenhang mit KI bereits heute und ohne Anpassungen von Gesetzen (wie z.B. DSG, ZGB/Persönlichkeitsrechte, UWG, StGB) begegnet werden könne. Sollte sich dennoch eine Lücke ergeben, könne diese mittels gezielter Anpassung spezifischer Rechtsgrundlagen - analog DLT-Gesetzgebung - geschlossen werden; ein KI-spezifisches Gesetz wie in der EU lehnt economiesuisse folgerichtig ab.

Schliesslich formuliert das Positionspapier die nachfolgenden Empfehlungen im Zusammenhang mit KI:

1) Ethik: KI-Systeme sollen ethisch vertretbar sein.

2) Transparenz: Von KI-Systemen getroffene Entscheidungen müssen transparent und nachvollziehbar sein, damit sie verstanden und überprüft werden können. Das Datenschutzrecht enthält generelle und im Falle von automatisierten Entscheiden verschärfte Transparenzvorschriften [Hinweis: hier ist die Informationspflicht für automatisierte Einzelentscheidung gemäss Art. 21 revDSG gemeint. Diese ist jedoch ebenfalls technologieneutral und beinhaltet keine spezifische Transparenzpflicht für KI].

3) Wirtschaftsfreiheit: Die Regulierung von KI-Systemen hat das Prinzip der Wirtschafts- und insbesondere der Vertragsfreiheit zu respektieren.

4) Geistiges Eigentum: Das geistige Eigentum muss auf Basis der heute bestehenden Regeln ausreichend geschützt bleiben.

5) Haftung: Die Haftung für KI-Systeme ist zu überprüfen. Allenfalls könnten die vorhandenen Regelungen zur Produkthaftung dahingehend ergänzt werden, dass sie einen angemessenen Schutz der Nutzer von KI-Systemen gewährleisten und Verantwortlichkeiten klar definiert sind.

Michal Cichocki

02.04.2014

Witwe eines Asbest-Opfers erhält in Strassburg Recht

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat der Witwe eines Asbest-Opfers Recht gegeben. Ihr und den zwei Töchtern sei in der Schweiz mit Verweis auf die Verjährungsfrist ein fairer Prozess verweigert worden (Urteile 52067/10 und 41072/11). 

Der Verstorbene hatte zwischen 1965 und 1978 beruflich Kontakt mit Asbest. Im Mai 2004 wurde bei ihm Krebs diagnostiziert, eineinhalb Jahre später starb er. Fünf Tage nach dem Tod ihres Mannes reichte die Witwe eine Genugtuungsforderung ein. Die Schweizer Unfallversicherung (Suva) habe ihre Schutzpflicht gegenüber ihrem Mann verletzt. Ebenso wie der ehemalige Arbeitgeber müsse die Suva solidarisch für dessen Tod haften. Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau und im Jahr 2010 auch das Bundesgericht (BGE 136 II 187 und 137 III 16) wiesen die Forderung der Frau zurück. 

Das Bundesgericht machte geltend, dass das Verantwortlichkeitsgesetz des Bundes eine Frist von höchstens zehn Jahren vorsieht (vgl. u.a. BGE 136 II 187, E. 8.3). Die Frau hätte ihre Forderung also 1988 deponieren müssen – 16 Jahre, bevor der Krebs bei ihrem Mann diagnostiziert wurde. 

Aus der Sicht des EGMR ist dies eine unmöglich zu erfüllende Anforderung, die die Klägerin um die Möglichkeit gebracht habe, ihren Anspruch geltend zu machen. Mit diesem System wären sämtliche Ansprüche von Asbest-Opfern, die mit der Substanz bis zu deren Verbot in der Schweiz im Jahr 1989 in Berührung kamen, gemäss Schweizer Recht verjährt, hält der EGMR fest. 

Wenn wissenschaftlich bewiesen sei, dass eine Person nicht wissen könne, dass sie an einer bestimmten Krankheit leide, müsse dies bei der Bemessung der Verjährungsfrist berücksichtigt werden, hält der EGMR fest. Eine strikte Auslegung der Fristen verletzt nach Meinung des EGMR den Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), in dem das Recht auf ein faires Verfahren (fair-trial) festgehalten ist. Das Recht auf ein faires Verfahren ist eine justizmäßige Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips. 

Der EGMR verpflichtet die Schweiz deshalb zu einer Genugtuungszahlung von 12’180 Euro an die Witwe sowie die zwei Töchter. Zudem muss sich die Schweiz mit 9’000 Euro an deren Unkosten beteiligen. 

Im November 2013 leitete der Bundesrat eine Botschaft für eine Revision der Verjährungsfrist ans Parlament weiter. Die absolute Verjährungsfrist soll für Personenschäden auf 30 Jahre verlängert werden. Zu den Personenschäden zählen auch Asbest-Schäden. 

Stephan Hirt
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