01.08.2014

EGMR Nr. 3592/08 bzw. BGE 134 III 88: Kinder zu Recht zurückgeführt

Wie die NZZ vom 23. Juli 2014 berichtete, hat das Bundesgericht (BGer) nicht gegen das Recht auf Achtung des Familienlebens gemäss Art. 8 EMRK verstossen, als es die Rückführung zweier Kinder aus der Schweiz nach Frankreich anordnete. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Beschwerde der Mutter abgewiesen (Urteil vom 22. Juli 2014 in der Beschwerdesache Nr. 3592/08; vgl. auch die Pressemitteilung) und damit ein umstrittenes Urteil des BGer (BGE 134 III 88) geschützt. 

Die Mutter war 2006 entgegen dem ausdrücklichen Willen ihres Ex-Ehemannes mit den gemeinsamen Kindern von einem französischen Grenzort in die Schweiz gezogen. Der Vater verlangte die sofortige Rückführung der Kinder nach Frankreich. Die nach französischem Recht geschiedenen Eltern teilten sich das Sorgerecht für die beiden Kinder; obhutsberechtigt war die Mutter. Das erstinstanzliche Gericht lehnte das Gesuch des Vaters um Rückführung ab. Das zweitinstanzliche Gericht sowie das BGer bejahten jedoch eine internationale Kindesentführung im Sinne des Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HEntfÜ). Folglich seien die beiden Kinder unverzüglich nach Frankreich zurückzuführen; dies, obwohl eine der beiden Töchter bei einer Anhörung durch das erstinstanzliche Gericht sagte, dass sie lieber in der Schweiz bleiben möchte. 

Gemäss EGMR wurde vorliegend Art. 8 EMRK nicht verletzt, da die Eltern das gemeinsame Sorgerecht haben und die Mutter damit nicht allein über den Wohnort der Kinder entscheiden durfte. Sie beging deshalb eine Kindesentführung gemäss Art. 3 HEntfÜ. Der schweizerische Wohnort sei zwar nur sieben Kilometer vom früheren Wohnort in Frankreich entfernt, habe aber erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung und Ausbildung der Kinder. Die Umgebung unterscheide sich kulturell und sozial von jener in Frankreich. 

Auch die Voraussetzungen gemäss Art. 13 des HEntfÜ, welche eine Ausnahme von der Pflicht zur Rückführung eines entführten Kindes vorsehen, sind laut EGMR vorliegend nicht erfüllt. Die Aussage der Tochter, wonach sie lieber in der Schweiz bleiben wolle, sei aber normal und kein qualifiziertes "Widersetzen" gemäss vorgenannter Bestimmung. Die Tochter habe kein freies Wahlrecht.

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Maira Gall