02.05.2015

BGer 6B_1224/2014: Die Begründungspflicht bei Rechtsmittelverfahren

Art. 82 Abs. 4 StPO lässt dem Gericht die Möglichkeit offen, für die tatsächliche und die rechtliche Würdigung auf die Begründung der Vorinstanz zu verweisen. Das Bundesgericht hält im Urteil vom 9. April 2015 (6B_1224/2014) fest, dass vom Instrument der Verweisung aber zurückhaltend Gebrauch zu machen sei, da andernfalls bei der das Rechtsmittel ergreifenden Person der Eindruck entstehen könnte, die Rechtsmittelinstanz setzte sich mit ihren Vorbringen nicht auseinander (Erw. 1.2.3). Ausserdem entbinde diese Norm die Rechtsmittelinstanz nicht von deren Begründungspflicht und finde seine Grenzen, wenn sich nicht mehr ohne weiteres feststellen lasse, was die massgebenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen der Rechtsmittelinstanz seien (Erw. 1.2.3 mit Verweis auf weitere Urteile des Bundesgerichts und weiterführende Literatur).

Im vom Bundesgericht zu beurteilenden Fall hat die Vorinstanz die Erwägungen des erstinstanzlichen Gerichtes nicht vollumfänglich bestätigt, sondern eine Vielzahl von „Korrekturen, Ergänzungen und Präzisierungen“ vorgenommen. Ihren Verweisungen und Ausführungen lasse sich aber nicht entnehmen, in welchem Umfang sie die erstinstanzlichen Erwägungen übernimmt, präzisiert oder korrigiert bzw. ersetzt. Es sei dem Beschwerdeführer nicht zuzumuten und nicht Aufgabe des Bundesgerichts, aufgrund eines Abgleichs zu ermitteln, was aller Wahrscheinlichkeit nach die massgebenden und verbindlichen Erwägungen des Berufungsurteils sind. In diesem Fall war das Berufungsurteil trotz zahlreicher Verweise auf die erstinstanzlichen Erwägungen sechs Seiten länger als der Entscheid des Bezirksgerichts, und die vorinstanzlichen Strafzumessungserwägungen sind aufgrund der umfangreichen “Korrekturen, Präzisierungen und Ergänzungen“ ebenfalls nicht knapper, weshalb das Bundesgericht zum Schluss kam, dass sich die Verweise auch aus Gründen der Verfahrensökonomie als nicht zweckmässig erweisen (Erw. 1.3.1). Das Bundesgericht hielt fest, dass der angefochtene Entscheid den gesetzlichen Begründungsanforderungen gemäss Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG und Art. 50 StGB nicht genüge und ausserdem Art. 82 Abs. 4 StPO verletzt sei. Das Urteil wurde aufgehoben und an die Vorinstanz zu neuer Entscheidung zurückgewiesen.

Andreas Dudli
© LawBlogSwitzerland.ch
Maira Gall