01.10.2014

BGE 4A_103/2013: Schweizerisches Arbeitsgesetz gilt nicht für im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer

Im vorliegenden Bundesgerichtsentscheid hat sich die Beschwerdeführerin, eine als GmbH organisierte Bäckerei, auf die Verpflegung von militärischen und anderen Organisationen spezialisiert. Seit 2005 betreibt sie an der Peripherie von Kabul in Afghanistan eine Bäckerei und beliefert vor Ort Truppen mit Brot- und Konditoreiwaren. Im Jahr 2005 schloss sie mit dem Beschwerdegegner einen Arbeitsvertrag. Gemäss diesem Vertrag betrug die wöchentliche Arbeitszeit im Durchschnitt 54 Stunden bei einer Sechstagewoche. Allfällige Mehrstunden sollten mit dem Monatslohn abgegolten sein. Als Ausgleich hatte der Arbeitnehmer gemäss Vertrag jährlich 63 Ferientage. Die Parteien unterstellten den Vertrag schweizerischem Recht und vereinbarten Glarus als Gerichtsstand.

Im Jahr 2009 reichte der Beschwerdegegner gegen die Beschwerdeführerin eine Klage ein und verlangte die Zahlung von CHF 118‘178.00 als Entschädigung für Mehr-, Nacht- und Sonntagsarbeit. Er stützte seine Forderung auf das Bundesgesetz vom 13. März 1964 über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (ArG). Nachdem das Kantonsgericht Glarus die Klage abgewiesen hat, wurde sie vom Obergericht in zweiter Instanz gutgeheissen. Damit war die Beschwerdeführerin nicht einverstanden und gelangte mit Beschwerde in Zivilsachen ans Bundesgericht. 

Die Vorinstanz argumentierte zunächst, das ArG sei öffentlich-rechtlicher Natur und gelte nur im Staatsgebiet der Schweiz. Art. 342 Abs. 2 OR sehe nun aber im Falle des Bestehens einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung einer Vertragspartei vor, dass der anderen Vertragspartei ein zivilrechtlicher Anspruch auf Erfüllung zustehe, wenn die Verpflichtung Inhalt des Einzelarbeitsvertrages sein könnte. Die öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen würden so gestützt auf Art. 342 Abs. 2 OR zu zivilrechtlichen Ansprüchen. Aus diesem Grund könnten sich die Parteien eines internationalen Arbeitsverhältnisses auch auf die Regelung des öffentlichen Rechts berufen, wenn auf das Arbeitsverhältnis Schweizer Recht anwendbar sei (E. 2.1).

Die Beschwerdeführerin hingegen argumentierte, dass der Geltungsbereich des ArG in dessen Art. 1 geregelt werde, und im Ausland beschäftige Arbeitnehmer würden darin nicht erwähnt. Dabei handle es sich um qualifiziertes Schweigen. Zudem sei die Berufung auf Art. 343 OR nur dann zulässig, wenn das ArG der Beschwerdeführerin öffentlich-rechtliche Verpflichtungen auferlegt habe. Solche Verpflichtungen lägen vorliegend gerade keine vor, da das ArG nicht anwendbar sei (E. 2.2). 

Nach einer Auslegung der relevanten Gesetzesbestimmungen kam das Bundesgericht zum Schluss, dass die Auslegung der Vorinstanz problematisch sei. Es argumentierte u.a., dass der Beschwerdegegner sich über Art. 342 OR auf Bestimmungen des ArG berufen wolle, die grundsätzlich nicht anwendbar seien. Über das Zivilrecht würden so öffentlich-rechtliche Vorschriften durchgesetzt, obwohl diese nach ihrem eigenen ausdrücklich festgelegten Geltungsbereich nicht anwendbar seien. Damit würden die Bestimmungen des ArG zu dessen Geltungsbereich umgangen (E. 2.5.4). Weiter führten die Bundesrichter aus, dass Art. 342 Abs. 2 OR die privatrechtlichen Wirkungen der öffentlich-rechtlichen Vorschriften über die Arbeit und die Berufsbildung regle. Er verleihe diesen mithin zusätzlich zivilrechtliche Wirkung. Es erscheine ausgeschlossen, dass es auch Sinn und Zweck dieser Bestimmung ist, den Geltungsbereich öffentlich-rechtlicher Vorschriften auf ausländische Arbeitsverhältnisse zu erweitern (2.5.5).

Im Resultat wurde die Beschwerde gutgeheissen. Es ergebe sich insgesamt, dass über Art. 342 Abs. 2 OR lediglich bestehende öffentlich-rechtliche Verpflichtungen rezipiert würden. Sei das ArG auf das betroffene Arbeitsverhältnis nicht anwendbar, so entstünden auch keine zivilrechtlichen Ansprüche auf Erfüllung von in diesem Gesetz vorgesehenen Verpflichtungen. 

© LawBlogSwitzerland.ch
Maira Gall