11.10.2013

Die neue EU-Erbrechtsverordnung (ErbVO)

Die Europäische Union (EU) hat am 04.07.2012 eine Erbrechtsverordnung verabschiedet, worin die Vorschriften über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht und die Anerkennung von ausländischen öffentlichen Urkunden und Entscheiden in Erbsachen vereinheitlicht werden sollen. Hierbei handelt es sich nicht um einheitliches Erbrecht, sondern um einheitliche Kollisionsregeln. Die Erbrechtsverordnung (ErbVO) wird am 17.08.2015 in Kraft treten und auf Erbfälle am oder nach 17.08.2015 anwendbar sein. Die Mitgliedstaaten der EU verständigten sich dahingehend, dass Verfügungen von Todes wegen ab sofort auf der Grundlage dieser Verordnung ausgearbeitet werden dürfen. Es bieten sich daher in der Nachlassplanung für die Zeit nach August 2015 neue Möglichkeiten an. 

Die in der Verordnung festgehaltenen Grundsätze unterscheiden sich nicht wesentlich vom Schweizerischen Bundesgesetz über das internationale Privatrecht (IPRG): 

1. Einheit des anwendbaren Erbrechts für alle beweglichen und unbeweglichen Vermögenswerte, wo auch immer sie sich befinden; 

2. Anknüpfung an das Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes des Erblassers (es handelt sich hierbei um ein Kriterium ähnlich dem "letzten Wohnsitz des Erblassers" gemäss schweizerischem Recht. Eine Definition des Begriffs in der ErbVO fehlt); 

3. Möglichkeit, das anwendbare Erbrecht zu wählen (sog. professio juris): der Erblasser kann das Recht eines seiner Heimatstaaten wählen. Dies selbst dann, wenn er die Staatsangehörigkeit seines Aufenthaltslandes besitzt (im Gegensatz zum Schweizer Recht, welches dies bei Schweizer Staatsangehörigen nicht zulässt). 

Die Verordnung beinhaltet überdies folgende konkrete Neuigkeiten: 

1. Anerkennung von Erbverträgen, sofern sie in einem Land abgeschlossen wurden, welches diese zulässt (z.B. die Schweiz), jedoch unter der Bedingung, dass mindestens eine Vertragspartei diesem (innerstaatlichen) Recht untersteht; 

2. Anerkennung des Willensvollstreckers und dessen weitreichender Befugnisse. 

Die ErbVO gilt grundsätzlich für alle EU-Staaten, sofern der Erblasser seinen letzten Wohnsitz in der EU hatte; jedoch ohne das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark, welche die Verordnung nicht ratifiziert haben. Die Regeln der ErbVO gelten zudem auch im Verhältnis zu Drittstaaten (wie die Schweiz). In den Beziehungen mit Drittstaaten ist besonderes Augenmerk darauf zu legen, dass die Rechtsordnungen derjenigen Länder, welche die Verordnung nicht ratifiziert haben (also beispielsweise die Schweiz), weiterhin gelten. 

Eine weitere Neuerung der Erbrechtsverordnung ist die Schaffung eines europäischen Nachlasszeugnisses, eine Art öffentlicher Erbenschein. Dieses Zeugnis soll unter anderem als Beleg für die Qualität der Erben und der Vermächtnisnehmer oder des Willensvollstreckers von allen Mitgliedstaaten anerkannt werden. Das europäische Nachlasszeugnis wird jedoch subsidiär zu anderen Dokumenten des jeweiligen nationalen Rechts stehen. Zudem gilt eine beschränkte Geltungsdauer von sechs Monaten ab Ausstellungsdatum. 

Steuer-, Zoll- und Verwaltungsrecht wird von der ErbVO nicht erfasst. Die Verordnung wird daher namentlich nur eine indirekte - jedoch nicht unbedeutende - Auswirkung auf die zu entrichtenden Erbschaftssteuern haben. 

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass gestützt auf die ErbVO die Planung und unionsweite (nicht weltweite) Gesamtabwicklung internationaler Erbfälle grundsätzlich vereinfacht werden können. Die Ermittlung des anwendbaren Rechts für mobile Bürger im EU-Raum kann jedoch aufwendige Erhebungen notwendig machen. Schliesslich besteht gegenüber Drittstaaten die Gefahr der Nachlassspaltung, sofern Vermögenswerte in einem Mitgliedstaat liegen oder das Recht eines Drittstaates gewählt wird. Dies erfordert eine hohe Anforderung an die Rechtswahlberatung. 

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Maira Gall