27.11.2014

EGMR-Urteil 52589/13: Schweiz darf Iraner wegen Gefahr der Folter im Heimatland nicht ausweisen

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat mit Urteil 52589/13 vom 18.11.2014 entschieden, dass ein iranischer Asylsuchender nicht in seine Heimat ausgeschafft werden darf: Der 37-Jährige Iraner hatte von 2009 bis 2011 in Teheran an Demonstrationen gegen das Regime teilgenommen. Als er eine Gerichtsvorladung erhielt, versteckte er sich vorerst und flüchtete schliesslich illegal in die Schweiz, wo er ein Asylgesuch einreichte.

Das Asylgesuch wurde vom Bundesamt für Migration (BFM) abgelehnt; eine Beschwerde vor Bundesverwaltungsgericht (BVGer) wurde auch abgewiesen. Begründet wurde der negative Entscheid mit widersprüchlichen Aussagen des Iraners, die er im Rahmen der ersten und zweiten Befragung zu seinen Fluchtgründen gemacht hatte. Der Iraner hatte die Widersprüche damit erklärt, dass die erste Befragung durch das BFM nur von kurzer Dauer gewesen sei, während er bei der zweiten Befragung, rund zwei Jahre später, eingehender befragt worden sei. Das BVGer bezweifelte zudem die Echtheit der Kopien der Gerichtsvorladung und des Urteils, die der Iraner eingereicht hatte. Es schrieb in seinem Urteil, dass solche Dokumente im Iran auch gegen Geld beschafft werden können.

Der EGMR entschied am 18.11.2014 mit 6 zu 1 Stimmen, dass die Aussagen des Iraners zu den Umständen seiner Flucht glaubhaft seien. Zwar sieht der EGMR Ungereimtheiten in den Ausführungen des Iraners zu den Ereignissen vor seiner Flucht; er lässt aber die entsprechenden Begründungen des Iraners als erklärbar gelten. Auch geht der EGMR nicht mit der Haltung der Schweiz einig, dass die vom Iraner vorgelegten Dokumente nicht authentisch seien. Zudem sei die individuelle Situation des Iraners bei einer Ausweisung zu berücksichtigen. Da ihm aufgrund des Urteils im Iran sieben Jahre Haft und 70 Peitschenhiebe drohen, würde die Schweiz bei einer Ausweisung in den Iran gegen das in Art. 3 der Menschenrechtskonvention verankerte Folterverbot verstossen, welches lautet: "Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden (EMRK; SR 0.101)".


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Maira Gall