14.08.2013

Gastbeitrag: Ein bernischer Rechtsanwalt in Brasilien

Der Gastautor schildert seine Erfahrungen als schweizerischer Rechtsanwalt in Brasilien:

Ungeachtet der hohen Hürden zur Erlangung des schweizerischen Anwaltspatents, sind in der Schweiz verhältnismässig wenig Tätigkeiten dem Anwaltsmonopol unterstellt. So ist grundsätzlich nur die berufsmässige Vertretung von Parteien vor Zivilgericht (mit Ausnahmen) sowie die Verteidigung strafrechtlich beschuldigter Personen (teilweise mit Ausnahme von Übertretungsverfahren) den im kantonalen Register eingetragenen Anwälten vorbehalten (Art. 68 Abs. 2 lit a. ZPO und Art. 127 Abs. 5 StPO). Im Verwaltungsverfahren gilt bis vor Bundesgericht kein Anwaltsmonopol (Art. 40 Abs. 1 BGG). 

Anders in Brasilien, wo kaum ein Vertrag ohne Anwalt unterschrieben wird und sich wohl sämtliche Unternehmen arbeitsrechtlichen Klagen konfrontiert sehen. Obwohl Brasilien, ähnlich wie die Schweiz, ca. 1‘040 Einwohner pro Anwalt hat, wird man in Brasiliens Grossstädten das Gefühl nicht los, es gäbe ebenso viele Anwaltskanzleien wie Restaurants. Mit ein Grund dafür mag sein, dass in Brasilien - im Gegensatz zur Schweiz - bereits die Rechtsberatung den Anwälten vorbehalten ist und der Anwaltsaufsicht untersteht. In der Schweiz ist die Rechtsberatung bisher nicht geregelt.

Wie die Schweiz, versucht auch Brasilien seinen Anwaltsstand zu schützen. Das schweizerische Anwaltspatent berechtigt in Brasilien grundsätzlich weder zur Ausübung des Anwaltsberufs noch zur Rechtsberatung. Hingegen hat Brasilien am 13. März 2000 die Verordnung Nr. 91/2000 erlassen, welche es einem ausländischen Anwalt ermöglicht, sich als „Berater für ausländisches Recht“ (Consultor em Direito Estrangeiro) in ein brasilianisches Anwaltsregister einzutragen. Wer dies will, muss: eine brasilianische Aufenthaltsbewilligung besitzen; im Heimatland zur Ausübung der Anwaltstätigkeit zugelassen sein; den Beweis guter Führung und Reputation erbringen können (attestiert und unterschrieben durch die Heimat-Anwaltskammer und drei brasilianische Anwälte); beweisen, keine Disziplinarsanktionen erlitten zu haben (Bestätigung der Anwaltskammer); beweisen, im Heimatland, sowie am Ort, an welchem der Antragsteller als Rechtsberater tätig zu sein gedenkt, nie strafrechtlich verurteilt worden zu sein; beweisen, dass ein brasilianischer Anwalt ebenfalls die Möglichkeit hätte, im Heimatland des Antragstellers die Tätigkeit der Rechtsberatung auszuüben (Reziprozität). 

Die Anforderungen zur Eintragung als „Berater für ausländisches Recht“ ins brasilianische Anwaltsregister im Einzelnen (Verordnung Nr. 91/2000): 

Aufenthaltsbewilligung: Der Ausländer resp. sein zukünftiger Arbeitgeber müssen den Beweis erbringen, dass es keinen mindestens gleichqualifizierten Brasilianer für diese Position gibt. Mit anderen Worten, der Arbeitgeber muss belegen, dass er auf genau diesen Ausländer angewiesen ist, wobei der Ausländer mindestens ein Jahr auf dem akademischen Beruf gearbeitet haben und über ein Nachdiplomstudium mit mindestens 360 Stunden oder einen entsprechenden Masteranschluss verfügen muss. Sämtliche eingereichten Unterlagen sind vom brasilianischen Konsulat zu beglaubigen und von einem in Brasilien vereidigten Übersetzer ins Portugiesische zu übersetzen (Normativer Beschluss Nr. 80, Anleitung). Das Antragsverfahren dauert gemäss offiziellen Angaben ca. einen Monat, was in der Praxis jedoch Wunschdenken ist! Nach Publikation der Aufenthaltsbewilligung kann der Ausländer auf dem brasilianischen Konsulat sein Arbeitsvisum abholen und in Brasilien als Arbeiter einreisen. Erst dann ist er berechtigt, bei der OAB die Eintragung als "Berater für ausländisches Rechts“ zu beantragen. 

Anwaltspatent, gute Führung und Reputation, kein Disziplinar- oder Strafregistereintrag: Der Beweis über ein Anwaltspatent und einen tadellosen Leumund zu verfügen kann mit den üblichen Bescheinigungen erbracht werden. Wobei das Beschaffen sämtlicher Bestätigungen, Beglaubigungen, Apostillen und Übersetzungen ins Geld geht. 

Beweis der Reziprozität mit der Schweiz: Ein ausländischer Nicht-EU/EFTA-Anwalt kann sich weder in ein kantonales Anwaltsregister noch in eine „Anwaltsliste gemäss Art. 28 BGFA“ eintragen und ein Register für Rechtsberater gibt es in der Schweiz nicht. Besteht somit keine Reziprozität? Doch! Einem brasilianischen Anwalt ist es in der Schweiz sogar ohne Eintragung möglich, als Rechtsberater für ausländisches Recht tätig zu sein. In den nicht dem Anwaltsmonopol unterstellten Angelegenheiten ist er zudem grundsätzlich berechtigt, Parteien vor Schweizer Gerichtsbehörden zu vertreten.

Bleibt damit nur noch vor der brasilianischen Anwaltskammer den Eid abzulegen, „ausschliesslich im Recht des Landes des Anwaltspatents Rechtsberatung zu erteilen, mit Würde und Unabhängigkeit zu handeln, die Ethik sowie die beruflichen Pflichten und Befugnisse zu befolgen, und die Verfassung, das Recht des demokratischen Staates von Brasilien und die Menschenrechte zu beachten“.

Michaël C. Duc 

Der Gastautor ist ehemaliger Spitzensportler und Rechtsanwalt mit Tätigkeitsschwerpunkt im Sportrecht. Er hat an den Universitäten Bern und Zürich Jura (mit Zusatzausbildung (CAS) im Sportrecht) studiert und in der Hauptstadt das Rechtsanwaltspatent erlangt. Nach seiner Tätigkeit in einem bernischen Advokaturbüro (Tätigkeitsschwerpunkte im allgemeinen Zivilrecht und Ausländerrecht) ist der Gastautor heute bei der Anwaltskanzlei Tetto, Macedo, Mees & Tisi Advogados im Süden Brasiliens (Curitiba) als Rechtsberater für Schweizer- und Sportrecht tätig. Zusätzlich ist er als „Berater für ausländisches Recht“ bei der Brasilianischen Anwaltskammer (OAB) eingetragen und Präsident der Schweizerischen-Brasilianischen Anwaltsassoziation.

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Maira Gall