29.08.2016

BGer 6B_110/2016: Die Zustellfiktion im Strafverfahren gem. Art. 85 Abs. 4 StPO

Art. 85 StPO legt die Zustellung von Mitteilungen im Strafverfahren fest. Diese muss u.a. durch eingeschriebene Postsendung erfolgen. Wird diese vom Adressaten nicht abgeholt, statuiert Abs. 4 lit. a derselben Bestimmung eine Zustellfiktion, indem die Postsendung am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellversuch als zugestellt gilt, wenn sie engeschrieben erfolgte und nicht abgeholt worden ist.

Diese Zustellfiktion gilt aber gemäss einer vom Gesetzgeber statuierten Voraussetzung nur dann, wenn die Person mit einer Zustellung rechnen musste. Dies fusst auf der Obliegenheit, sich nach Treu und Glauben zu verhalten und darum besorgt zu sein, dass eine behördliche Mitteilung zugestellt werden kann. Allerdings dauert diese Obliegenheit nicht unbeschränkt.

Das Bundesgericht stellte in seinem Entscheid vom 27. Juli 2016 nochmals seine Praxis klar: So ist bei der Anwendung der Regeln über die Zustellfiktion der Verfahrensdauer Rechnung zu tragen (Erw. 2.1). In diesem Zusammenhang wird die Zeitdauer von bis zu einem Jahr seit der letzten verfahrensbezogenen Handlung noch als vertretbar erachtet. Danach könne nur noch von einer Empfangspflicht in dem Sinne, dass die am Verfahren beteiligte Person für die Behörde erreichbar ist und dass sie Adressänderungen und länger dauernde Abwesenheiten meldet. Eine Abwesenheit von wenigen Wochen kann ihr dann nicht mehr entgegen gehalten werden.

Im zu beurteilenden Fall lag die letzte Verfahrenshandlung weniger als drei Monate zurück, weshalb ohne weiteres von der Zustellfiktion ausgegangen werden könne (Erw. 1.3).

Andreas Dudli
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Maira Gall