10.03.2014

BGer 6B_715/2012: "Sauausländer" und "Dreckasylant" sind nicht rassistisch?

Was landläufig als sonnenklar scheint, wird in den bundesgerichtlichen Gemächern in Lausanne teilweise fernab von der Realität in der Luft zerrissen. Nur so kann der Entscheid des Bundesgerichts vom 6. Februar 2014 (6B_715/2012) erklärt, aber dafür umso weniger begründet werden.

Ein Polizist beschimpfte eine angehaltene Person aus Algerien als "Sauausländer" und "Dreckasylant". Das Bundesgericht kam im Gegensatz zu den Vorinstanzen zum Schluss, dass damit die Rassismusstrafnorm von Art. 261bis Abs. 1 StGB nicht verletzt sei, sondern es sich hierbei "nur" um eine Beschimpfung handle. Der Tatbestand schütze unmittelbar die Würde eines einzelnen Menschen in seiner Eigenschaft als Angehöriger einer Rasse, Ethnie oder Religion, weshalb Ausdrücke wie "Drecksjugo", "schwarze Sau" oder "Saujude" unter den Anwendungsbereich fielen, solange die restlichen Voraussetzungen erfüllt seien (vgl. E. 2.2.2).

Dies sei bei "Sauausländer" und "Dreckasylant" nicht der Fall, der Bezug zu einem der Begriffe fehle. Das Bundesgericht führt gleichzeitig aus, dass, sollten die Begriffe "Ausländer" oder "Asylant" im Zusammenhang mit den und stellvertretend für die Angehörigen einer geschützten Gruppe verwendet würden, sie dann aber doch unter die Strafnorm fielen. Es sei hier aber mangels weiterer dafür sprechender Umstände nicht bewiesen, dass der Polizist den Algerier gerade wegen der Rasse, Ethnie oder Religion beschimpfte, auch wenn dies nach aussen allenfalls den Anschein gemacht habe (vgl. E. 2.4). Diese Auslegungsart des Bundesgerichts könnte ein Paradebeispiel fürs Lehrbuch sein, um das Willkürverbot mit einem Praxisbeispiel zu bereichern!

Das BGer hält weiter fest, dass selbst dann, wenn der Polizist die Beschimpfung gerade wegen der Rasse, Ethnie oder Religion äusserte, ohnehin nicht von der Erfüllung des Tatbestandes ausgegangen werden könnte. Denn ein Täter müsse sein Opfer gemäss Art. 261bis Abs. 1 StGB "in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise" herabsetzen oder diskriminieren. Dies sei gemäss herrschender Lehre dann der Fall, wenn der Angegriffene als Mensch zweiter Klasse behandelt werde. Begriffe wie "Sau" und "Dreck" seien aber im Rahmen von Unmutsäusserungen als "blosse Beschimpfung" und nicht als Angriff auf die Menschenwürde zu interpretieren (vgl. E. 2.5.2). Gleichzeitig hält das Bundesgericht fest, dass Dritte solche Beschimpfungen als "mehr oder weniger primitive fremdenfeindlich motivierte Ehrverletzung" auffassen! Was der Unterschied zum "Angriff auf die Menschenwürde" genau noch ausmacht und ob dies auch bei den vom Bundesgericht eingangs erwähnten Begriffen "Drecksjugo", "schwarze Sau" oder "Saujude" erfüllt wäre, bleibt das Bundesgericht schuldig.

Jede Rechtsnorm ist auslegungsbedürfig, jede Sachverhaltsfeststellung hat individuellen Charakter. Nach Auffassung des Autors ist das Bundesgericht in diesem Fall bei der Urteilsfällung aber in einen realitätsfremden Formalismus verfallen, der vom Volk nicht mehr verstanden wird.

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Maira Gall