11.02.2014

Die „Vorermittlung“ als blinder Fleck im Strafverfahren

Eine Privatperson reichte gegen den Leiter des Strasseninspektorats der Stadt St. Gallen Strafanzeige ein, da durch Abkippen und Deponieren von mit Abfällen versehenen, beim Winterdienst gesammeltem Altschnee der Verdacht auf Gewässerverschmutzung bestehe. Die Anklagekammer des Kantons St. Gallen entschied als Beschwerdeinstanz, dass für die Eröffnung eines Strafverfahrens ein Ermächtigungsverfahren durchzuführen sei, da es sich um ein Behördenmitglied handle. Der Kanton St. Gallen habe von der gesetzlichen Kompetenz in Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO Gebrauch gemacht, weshalb die Strafverfolgung gegen Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden von einer Ermächtigung abhängig sei, so auch hier. Die Ermächtigung für das Strafverfahren wurde anschliessend nicht erteilt, womit sich das Bundesgericht damit zu befassen hatte.

Dieses hielt fest, dass für den Entscheid über die Ermächtigung zur Strafverfolgung einzig strafrechtliche Gesichtspunkte und nicht etwa Opportunitätsgründe massgeblich seien. Dies schliesse aber nicht aus, dass für die Erteilung der Ermächtigung genügende minimale Hinweise auf strafrechtliches Verhalten verlangt werden könne. Es sei Voraussetzung, dass irgendein Verhalten, das strafrechtliche Konsequenzen zu zeitigen vermöge, in minimalem Ausmass glaubhaft erscheinen müsse (Erw. 3.3).

Im vorliegenden Fall hat das Untersuchungsamt die Erfüllung des objektiven Tatbestands eines Verstosses gegen das Gewässerschutzgesetzes ausgeschlossen, da mittels Vorermittlung keine chemische oder physikalische Verschmutzung nachgewiesen werden konnte. Ausserdem sei auch der Vorsatz noch eine Sorgfaltspflichtverletzung erfüllt, da das Strasseninspektorat sich an die vom kantonalen Baudepartement erlassenen Weisungen gehalten habe (Erw. 4.1). Der Entscheid der Vorinstanz wurde vom Bundesgericht geschützt und es wurde kein Strafverfahren eröffnet.

Anmerkung des Autors: Es ist wohl davon auszugehen, dass dem Anzeiger in dieser sogenannten „Vorermittlung“ mangels eröffnetem Strafverfahren keine Parteirechte eingeräumt wurden. Dies scheint unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten als heikel. Immerhin zählt der Anzeiger gemäss Art. 105 StPO als „anderer Verfahrensbeteiligter“, dem die Verfahrensrechte (im Strafverfahren) zumindest dann einzuräumen wären, wenn er in seinen Rechten unmittelbar betroffen ist. Dies mag hier wohl nicht der Fall gewesen sein.

Wäre bei einer solchen „Vorermittlung“ allerdings eine Privatklägerschaft vorhanden (vgl. Art. 118 Abs. 1 StPO), müssten auch in diesem Verfahrensstadium, wo noch kein Strafverfahren formell eröffnet wurde, nach Auffassung des Autors sämtliche Parteirecht vollumfänglich gewährleistet werden. Ansonsten würde sich die untersuchende Behörde von vornherein einerseits dem Vorwurf der Intransparenz aussetzen, andererseits wäre das rechtliche Gehör der Verfahrenspartei verletzt.

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Maira Gall